Buika im Interview

DKB: Buika, zunächst einmal, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Album „Vivir sin Miedo“. Wir hatten das Glück, das Album schon einmal vorab zu hören. Es ist wirklich großartig, und wir möchten ein wenig später auch darauf zurückkommen.

Buika: Vielen Dank.

DKB: Vielleicht können wir zunächst einmal auf die frühen Tage zurückgehen. Sie sind ja westafrikanischer Herkunft, in Palma de Mallorca geboren und dort aufgewachsen. Und der Grund dafür ist, dass Ihr Vater ein Schriftsteller und Politiker war, der die Demokratiebewegung in Äquatorialguinea unterstützte und deshalb fliehen musste. Bitte erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen als vermutlich einziges schwarzes Mädchen in der Schule und der spanischen Nachbarschaft. Gab es da vielleicht Diskriminierungen, womöglich Rassismus?

Buika: Meine Mama hat mir, als ich noch ein kleines Mädchen war, beigebracht, dass von dem Augenblick an, wo nur ein einziger Mensch ein Sklave ist, wir alle Sklaven sind. Ich wurde an einem sehr schönen, magischen Ort, in Palma de Mallorca geboren. Die Leute dort sind echt cool. Aber, na ja, ich glaube, das war schon etwas komisch für mich, weil es doch so wenige schwarze Menschen bei uns gab. Also irgendwie eine seltsame Situation. Aber so etwas wie Diskriminierung oder Rassismus habe ich nicht erlebt. Rassismus ist ja etwas, was man ganz tief in sich trägt. Das merkt man sofort, wenn man rassistisch ist. Wenn man es nicht ist, dann sieht man überall nur die gleichen Menschen und auch die gleiche Dummheiten. Meine Mama hat mir beigebracht, dass wenn man auf jemanden trifft, der einen diskriminiert, dann ist das ein ganz armer Mensch. Aber nein, solche Dinge habe ich glücklicherweise nie erlebt. Ich habe mich immer wirklich sehr wohl gefühlt.

DKB: Wie sind Sie denn eigentlich zur Musik gekommen?

Buika: Also, ich denke mal, dass Musik eine Gabe, ein Geschenk ist, das wir alle haben. Meine ersten Schritte in die Welt der Musik ging ich, da war ich wohl so etwa sechszehn Jahre alt. Ich befand mich damals in einer Phase, da rannte ich von mir davon, verstecke mich vor meinem eigenen Selbst. Aber die Musik half mir, mein eigenes Selbst wieder zu finden. Ich ging also eines Tages auf die Bühne, weil jemand eine Sängerin brauchte. Viele haben mich damals ermutigt und mir gesagt „Ja, geh‘ auf die Bühne! Versuch es doch einfach mal!“ Ich war damals Schlagzeugerin und versuchte einer Band an den Drums zu helfen. Ich sprang also auf die Bühne und sang irgendetwas, und ich glaube, es war auch ganz gut. Jedenfalls, mein Vater applaudierte als erster; dann hörte ich, wie alle applaudierten. Das fühlte sich richtig gut an, und da war für mich klar, das wollte ich für den Rest meines Lebens machen.

DKB: Lassen Sie uns jetzt vielleicht einmal ein bisschen über ihre Musik sprechen. Die ist zwar kein reiner Flamenco, aber gleichwohl von dieser andalusischen Kunstform deutlich geprägt. Sie selbst sind ja in eine westafrikanische Familie hineingeboren, da denke ich mal, dass Sie mit einem ganz anderen musikalischen Erbe groß geworden sind und auch eine ganze Menge afrikanische Musik gehört haben. Woher haben Sie denn dieses unglaubliche Feeling für den Flamenco?

Buika: Also ich selbst halte das gar nicht für Flamenco. Tatsächlich glaube ich, dass ich Flamenco überhaupt nicht singen kann. Es gibt bestimmt ganz viele phantastische Flamenco-Sängerinnen, doch ich gehöre sicherlich nicht dazu. Ich bin eine freie, ungebundene Note, weil ich jede Musik schätze. Egal, ob es sich um Flamenco, Jazz, Pop, Blues oder was weiß ich handelt. Wenn meine Musik Flamenco-Bestandteile hat, dann sind die nicht sehr markant. So klein! Elemente des Jazz? Ebenfalls kaum vorhanden. Erstaunlich, aber es ist so. Ebenso verhält es sich mit Rock. Verstehen Sie, ich möchte in einer Musik leben, die ganz groß und bedeutend ist, eine, die alle Klänge dieser Welt verschmelzt. Ich möchte mich nicht in speziellen Klängen und Musikstilen verirren, die wir ja alle sowieso kennen. Musik wird für Menschen gemacht. Nur für die Menschen. Und die Menschen typisieren Musik nun einmal nicht. Sie gefällt ihnen oder nicht. Und ich möchte in all diesen Musikstilen leben. Meine Mama und mein Papa stammen aus Afrika. Sie kommen aus verschiedenen Stämmen. Ich selbst bin in Spanien geboren und wurde für die verschiedenen Länder der ganzen Welt erzogen. Welche Musik soll ich also spielen? Ich weiß nicht. Ich bin Tochter eines Flüchtlings. Welche Musik soll ich da spielen? Wissen Sie, ich spiele genau das, was ich bin, nämlich eine Mischung der verschiedensten Musikstile und Kulturen.

DKB: Was ist denn die Quelle Ihrer Inspiration, wenn Sie einen Song schreiben oder ins Studio gehen, um ein Album aufzunehmen?

Buika: Das Leben selbst ist Inspiration genug, weil die Musik letzten Endes ein Fest des Lebens ist. Das Leben selbst inspiriert und gelangt in deinen Kopf, damit du einen neuen Song oder ein Gedicht schreiben kannst. Du lebst, bist Teil der Welt und um dich herum und in dir passiert eine ganze Menge. Da brauche ich nichts zusätzlich, um mich zu inspirieren.

DKB: Musikjournalisten kategorisieren und klassifizieren ja gerne alles und jedermann. Ihr Musikstil wird häufig als eine spannende Mischung aus Flamenco, kubanischen Einflüssen, R&B, Gospel, Jazz und anderen Genres beschrieben. Sind Sie mit dieser Beschreibung glücklich und verstehen Sie sich auch so als Künstlerin und Musikerin?

Buika: Also ich selbst halte mich nicht für irgendetwas ganz Bestimmtes, weil ich eine Mutantin bin (lacht). Ich halte mich übrigens auch nicht für so furchtbar wichtig. Ich selbst habe ja auch nie gesagt, ich singe Jazz, ich singe Rock, ich mache dies oder das, ja? Ich bin eine freie, ungebundene Note. Und ich kenne den Ort, von dem aus ich singe. Ich weiß aber nicht, wo Sie stehen, wenn Sie mich hören. Deshalb kann ich auch keine Verantwortung dafür übernehmen, was Sie empfinden oder hören, wenn Sie meine Musik hören. Wenn das, was Sie hören, für Sie Rock ist, ok, dann ist es eben Rock. Wenn das, was Sie hören, für Sie Blues ist, auch schön, dann ist es eben Blues. Wissen Sie, ich habe nicht die Absicht, mich oder Sie hier irgendwie einzuschränken oder festzulegen. Mein Blickwinkel ist die Freiheit, wenn ich singe. Ich kenne aber Ihre Perspektive nicht, wenn Sie das hören, was ich singe.

DKB: Der Titel Ihres neuen Albums ist „Vivir sin Miedo“ (Ohne Angst leben). Im Titelsong selbst geht es ja auch darum, dass man seinen ganz persönlichen Weg zu Gott oder dem Paradies findet und sich nicht darum kümmert, was die Leute von einem so halten. Spiegelt dieser Song ihre ganz persönliche Erfahrung wider?

Buika: Na ja, ich meine, es ist so, dass alles, was uns betrifft und wir tun, schon irgendwie mit unserer ganz persönlichen Biografie zu tun hat. Alles, was wir tun, ist autobiografisch, weil wir auf das eigene Verständnis unserer Situation reagieren. Und das ist etwas ganz Persönliches. Aber der Titel dieses Songs „Vivir sin Miedo“ ist einfach auch ein schöner Satz, der mir gut gefällt, und außerdem einer, den die Welt hören sollte. Ich weiß nicht, ob ein Leben ohne Angst jemals möglich sein wird, weil wir ja alle in und durch Angst erzogen werden. Wir werden alle durch Angst erzogen, und ich bin ein braves Mädchen. Und da ich eine wirklich gute Erziehung genossen habe, muss ich folglich Angst haben. Weil ich ein braves Mädchen bin. Verstehen Sie, was ich sagen will? (lacht) Aber ich glaube ganz entschieden, dass unsere Welt ohne Angst leben muss. Ich glaube, deshalb habe ich mich wohl entschieden, den Song mit diesem schönen Satz aufzunehmen. Weil wir alle angstfrei leben sollten.

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DKB: Auf ein paar Alben hatten Sie ja einige sehr berühmte Gastmusiker wie z.B. den Flamenco-Gitarristen Nino Josele, den kubanischen Perkussionisten Chucho Valdes oder auch Jazzgrößen wie Chick Corea, Ivan Melon Lewis und Pat Metheney dabei. War das eigentlich einfach für Sie als junge aufstrebende Nachwuchskünstlerin, mit solchen musikalischen Legenden zusammenzuarbeiten? Und haben Sie etwas von ihnen bekommen, von dem Sie meinten, dass genau das Ihre Songs brauchten?

Buika: Na ja, man profitiert natürlich immer wieder von so einer Situation. Aber man muss eben auch offen und empfänglich dafür sein. Klar, da läuft ja immer irgendetwas ab, was man nicht immer einfach in Worte fassen kann, verstehen Sie? Und dann war es wohl sehr gut, dass ich mit anderen Künstlern zusammengearbeitet habe. Denn wenn man sich mit jemandem zusammentut und etwas gemeinsam macht, dann wird das wichtig für dein Leben und auch für das Leben der anderen sein. Man muss verstehen, dass man dort steht, wo man ist. Aber so genau schaue ich mir die Zusammenarbeit mit anderen Musikern aber eigentlich nie an. Sie waren eben dabei, ich war dabei. Und ich glaube, ich verdiene das auch. Und ich war sehr glücklich, Teil von etwas absolut Magischem gewesen zu sein.

DKB: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere auch mit verschiedenen Musikproduzenten zusammengearbeitet. Da gab es Javier Limon, der ja einen sehr guten Ruf als Produzent für Flamenco-Musik hat. Ihr neues Album „Vivir sin Miedo“ entstand in gemeinsamer Arbeit mit Martin Terefe, der etliche große Namen produziert hat wie Mary Blidge, Jamie Cullum und Coldplay. Ist denn die Wahl des Musikproduzenten etwas, was sorgfältig überlegt werden will, da sie Auswirkungen auf den Sound der Musik hat, die Sie machen?

Buika: Doch, doch durchaus. Allerdings hatte ich bei meinem vierten Album „La Noche más Larga“ („Die längste Nacht“) keinen Produzenten und habe es selbst produziert, weil ich der Meinung war, dass ich keinen Produzenten brauchte. Ich kenne meinen Sound und weiß genau, was ich will, wenn ich mir meine Musik anhöre. Und ich spiele das Spiel der Musikindustrie, und die ist ein ganz klar ein männliches Territorium. Frauen müssen da wirklich hart kämpfen, um einen Platz und Raum im Musikbusiness zu finden. Sobald du mit einem Produzenten arbeitest, gibt er dir gleich das Gefühl, dass er gekommen ist, um dein Leben zu retten. Wir brauchen aber nicht gerettet zu werden. Schließlich befinden wir uns nicht im Krieg. Und es brennt auch nicht. Nichts dergleichen. Aber etwas, was die Musikproduzenten tun müssen, ist, sie müssen sich Deine Ideen aufmerksam anhören und zuhören, was du willst. Und wenn ein Produzent nicht in der Lage ist, deine Ideen anständig in die Welt zu übersetzen, dann ist das eben kein guter Produzent für dich. Da spielt es dann auch überhaupt keine Rolle, ob der berühmt ist oder nicht. Er ist da, dich zu unterstützen und dir zu helfen, deine Ideen umzusetzen. Also, beim letzten Album, das ich gemacht habe, hatte ich Gott sei Dank keinen Produzenten. Und wissen Sie was, wir haben sogar eine Grammy-Nominierung für die Produktion bekommen. Und dabei hatte ich gar keinen Produzenten! Was ich damit sagen will, ist, dass man einen Produzenten nicht unbedingt braucht. Ein Produzent ist jemand, der einen Auftrag hat. Und wenn man das Gefühl hat, man braucht keinen Produzenten, dann sollte man eben darauf verzichten. Bei meinem neuen Album habe ich allerdings mit Martin Terefe zusammengearbeitet, weil ich das Gefühl hatte, dass Martin so verrückt ist, dass er sich völlig vergessen und sich ganz auf die Musik konzentrieren kann. Und das ist eine wunderbare Gabe. Ich mag Martin sehr.

DKB: Abgesehen davon, dass Sie Sängerin und Komponistin sind, schreiben Sie auch Gedichte und haben bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht. Was für eine Art Dichtung ist das denn, die sie schreiben?

Buika: Na ja, ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht so genau. Wenn ich die meinen Freunden zeige, dann sagen die: „Das sind doch keine Gedichte.“ Also, ich weiß nicht so recht (lacht). Da schwimme ich ganz schön. Wissen Sie, ich lebe ohne Filter. Keine Filter. Da gab es einmal eine Phase in meinem Leben, da hielt ich mich für ziemlich dumm und ungebildet, weil ich nicht zur Schule gehen konnte. Da haben wir den Filter zwischen dir und deiner Realität. Verstehen Sie, ich will keine Filter. Ich beschloss, dass ich verrückt genug bin, ein Buch zu schreiben, und das habe ich auch geschafft. Das ist jetzt mein zweites Buch und der Titel lautet: „A los que amaron a mujeres difíciles y acabaron por soltarse“ („An all jene, die schwierige Frauen liebten und sie letztlich gehen ließen“). Es ist ein Buch, das über unsere Gedanken spricht. Es geht auch um die wahre Liebe, d.h. bei Menschen, die die schönsten und schlimmsten Seiten von dir kennen und sich doch entschlossen haben, für immer bei dir zu bleiben. Und zwar ganz ohne Angst. Und das Buch handelt von den Monstern, die in uns allen schlummern. Das heißt, es sind Monster, weil wir sie nicht in Ruhe lassen. Und das ist auch der Grund, weil sie zu Monstern wurden. Na ja, das Buch handelt von ganz vielen Dingen.

DKB: Ist das Schreiben eines Gedichtes eigentlich ein völlig anderer Vorgang als das Schreiben eines Songs?

Buika: Ja, ich glaube schon. Der Unterschied besteht wohl im Tempo, das Song und Gedicht zu unterschiedlichen Klanggebilden macht. Und es handelt sich natürlich um eine andere Art der Selbstdarstellung, aber letztlich ist es doch irgendwie die gleiche Leistung, und das ist Kommunikation zwischen Menschen.

DKB: Haben Sie eigentlich manche Ihre Gedichte zu Songs umgearbeitet?

Buika: Ja, habe ich. Manche meiner Songs waren tatsächlich ursprünglich Gedichte. Und es gibt einige Gedichte, denen Lieder zugrunde liegen. Und dann gibt es noch ein paar Gedichte, die wirklichen Sätzen von Menschen um uns herum entlehnt sind. Dichtung und Musik, das ist etwas, was uns immer umgibt. Es kommt aber darauf an, dass man genau zuhören muss.

DKB: Abgesehen davon, dass Sie Songs und Gedichte schreiben und Ihre Musik selbst produzieren, gibt es ja wohl noch andere künstlerische Arbeiten, die angedacht oder schon konkret in Vorbereitung sind. Ich höre, da gibt es sogar Pläne für eine Oper. Können Sie uns vielleicht etwas Näheres dazu sagen?

Buika: Ja, stimmt. Es geht um eine Oper über das Leben der Sängerin Julia Prastana, die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte und eine ganz außergewöhnliche Erscheinung war. Sie war am ganzen Körper stark behaart und ihr Mund wies angeblich doppelte Zahnreihen auf. Julia Prastana war schon eine merkwürdige Person, aber gleichzeitig sehr talentiert. Sie hatte eine sehr schöne Sopranstimme, konnte tanzen und sprach drei Sprachen. Trotzdem wurde sie wie ein Tier behandelt. Ihr ganzes Leben hat sie in einem Zirkus verbracht. Dabei war sie so klug, so intelligent und schlau. Und sie sehnte sich nach echter Liebe. Also eine ganz und gar erstaunliche Person. Sie ist seit hundert Jahren tot, wurde aber erst im letzten Jahr beerdigt. Das muss man sich mal vorstellen! Juliana Prastana starb vor hundert Jahren, wurde aber erst im vergangenen Jahr in Mexiko bestattet. Der Leichnam befand sich jahrelang in einem Institut, wo er wissenschaftlich untersucht wurde. Man hat die Frau also nicht in Frieden ruhen lassen. Also, ja, es stimmt, wir arbeiten an einer Oper über diese ungewöhnliche Frau und ihr Schicksal.

DKB: Sie sind ja wirklich ein sehr beschäftigte Frau. Das klingt ja so, also ob Sie niemals oder selten sich die Zeit gönnen, um mal auszuspannen. Und wenn das denn doch einmal vorkommt, was machen Sie dann mit Ihrer freien Zeit?

Buika: Na, dann gehe ich ins Studio (lacht).

DKB: Buika, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch. Viel Glück und Erfolg für Ihr neues Album. Wir hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.

Buika: Vielen Dank und Gott segne Sie.

Standardbild
Hans Kaltwasser
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