ALL EYEZ ON ME // Tupac im Kino

HipHop-Legenden wie Kendrick Lamar, Drake, Eminem, Kanye West und andere werden heute weltweit von ihren Millionen Fans wie religiöse Gottheiten verehrt. Doch noch bevor all diese Musiker zu Kultstatus gelangten, gab es einen, der bis heute Gegenstand schier nicht enden wollender Debatten und Gerüchte über seinen angeblich vorgetäuschten Tod geworden ist: Tupac Amaru Shakur. Fest steht, dass sein Einfluss auf die Hiphop-Industrie bis heute spürbar ist, so dass es angesichts des riesigen Erfolgs der kürzlichen N.W.A.-Filmbiografie „Straight outta Compton“, eigentlich nur eine Frage der Zeit war, bis ein TUPAC-Biopic, ALL EYEZ ON ME, in die Kinos kommt.

ALL EYEZ ON ME besticht durch hervorragende Darsteller

Ein grundlegendes Problem bei Filmen über prominente Persönlichkeiten wie Tupac Shakur ist wohl die Sorge, dass der Hauptdarsteller in Bezug auf sein Aussehen, seine Stimme und vielen Eigenheiten zu sehr vom Original abweicht, um vom Publikum als dessen wahre Verkörperung wahrgenommen zu werden. Wieviel Tupac Shakur steckt also in Demetrius Shipp Jr.? Ziemlich viel, so dass man sich fragt, ob Tupac seinen Tod vielleicht doch nur vorgetäuscht hat und jetzt in seinem eigenen Film die Hauptrolle  spielt. Shipp meistert seine Rolle in jeder Hinsicht, fängt das Draufgängertum, das Talent, die Neigung zur Prahlerei und schmerzhaften Innenschau des zerrissenen Musikers gekonnt und überzeugend ein.

Foto: Constantin Film

Der Film selbst wirkt zunächst weniger souverän. Die Geschichte wird nicht direkt erzählt, sondern häppchenweise durch Interviews zusammengehalten, die Tupac 1996 im Gefängnis gab und in denen er über die Ereignisse berichtet, die zu seiner Inhaftierung führten. Das wirkt holprig. Egal ob dies der Unerfahrenheit des Drehbuchautors geschuldet ist oder der Tatsache, dass allzu viel in die ersten zwanzig Minuten des 140minütigen Streifens hineingepackt werden musste, der Film springt zunächst ziemlich hin und her, beendet abrupt Szenen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie mitten drinnen abgebrochen, statt weiter entwickelt zu werden.

All Eyez on me
Afeni (Danai Gurira) und Sohn Tupac (Demetrius Shipp Jr.)Foto: Constantin Film

Tupac und seine kometenhafte Karriere

Doch schließlich, als Tupac seinen Weg in die Rap-Industrie findet, fasst der ALL EYEZ ON ME  Fuß. Von da an erleben wir die spannenden Höhen und Tiefen von Tupacs kometenhafter Karriere, wer ihn beeinflusste, angefangen von seiner Mutter, die Mitglied bei den Black Panther war, über seinen Rapper-Kollegen Biggie Smalls und den zwielichtigen Manager bei Death Row Records, Suge Knight, bis hin zu seinem tragischen Tod im Alter von nur 25 Jahren.

Tupac auf der Bühne – „All Eyez on me“ Foto: Constantin Film

Eigentlich fehlt nichts in dieser soliden gemachten Filmbiografie, die tief in das Leben des Rappers eintaucht und das Bild einer desolaten, harten Kindheit voller Armut, Gewalt, Lügen und Betrug zeichnet. Die Möglichkeiten, etwas aus sich zu machen, sind, so lautet die hier Botschaft, für Tupac düster. Mit seiner kleinen Schwester wächst er in der Bronx zwischen billigen Absteigen und Obdachlosenheimen heran. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Seine Mutter, Afeni Shakur, ist eine politische Aktivistin, die unter konstanter Bespitzelung durch das FBI steht und mit der bescheidenen Sozialhilfe die Familie durchzubringen versucht. Die einzige Vaterfigur in Tupacs Leben ist sein Stiefvater Mutulu Shakur, der als einer der zehn meist gesuchtesten Schwerverbrecher der USA auf der Fahndungsliste steht. An Heiligabend stürmt eine schwerbewaffnete Polizeieinheit das Apartment der Familie in New York und schleppt Mutulu ins Gefängnis, aus dem er nie wieder zurückkehren soll. Um den dauernden Schikanen durch das FBI zu entkommen zieht die Mutter mit ihrer Kindern nach Baltimore. Hier blüht der junge Tupac auf. Am College in Baltimore belegt er Lyrikseminare, studiert Theater und Ballett. Tupac verliebt sich in eine Mitschülerin, die vielversprechende Schauspielerin Jada Pinkett, der er Gedichte widmet. Für die Aufführung seiner Schule von Shakespeares Hamlet bekommt er sogar die Hauptrolle. Doch noch bevor er sich in seinem neuen Leben richig einrichten kann, muss er wegen Drogenprobleme seiner Mutter nach Oakland, Kalifornien. Hier findet er schließlich den Weg in die Studios von Death Records, und die beispiellose Karriere eines begnadeten Musikers beginnt.

Trotz seiner Liebe zu akribisch zusammengetragenen Details, bleibt das Gefühl, dass ALL EYEZ ON ME vom Tupac dem eigensinnigen, zum Nachdenken anregenden Geschichtenerzähler und seiner Rolle als Kämpfer und Hoffnungsträger der Afro-Amerikaner, die er im wahren Leben ausfüllte, nicht viel übrig lässt. Eine der besten Szenen des Films macht diesen Mangel deutlich. Kurz bevor Tupac groß herauskommt, will ihn Interscope Records unter Vertrag nehmen, er soll jedoch den Song „Brenda’s Got A Baby“ aus seinem Album streichen. In dem Song geht es um ein zwölfjähriges Mädchen, das von seinem Cousin schwanger wird, ein Baby bekommt, und schließlich in Drogensucht und Prostitution abgleitet. Als der Plattenboss fordert, das Lied zu streichen, verfällt Tupac in eine leidenschaftliche Wutrede darüber, dass er die Stimme der Entrechteten des Landes ist, dass er über das wahre Amerika spricht, in dem er groß geworden ist und von dem die Label-Bosse keine Ahnung haben. Eher würde er nicht unterschreiben, als seine Überzeugungen preiszugeben.

Hätte der Film mehr von dieser Seite Tupacs gezeigt und ihn nicht in das Korsett einer holprigen Rahmenhandlung gezwängt, dann wäre er nicht nur gut, sondern großartig. So bleibt es bei einem Film, der ähnlich selektiv ist wie in der Musikindustrie ein Best Of Album: Er stellt zusammen, was er für die wichtigsten Momente und prägenden Ereignisse einer Biografie hält. Das macht er allerdings sehr gut.

Fotos Constantin Film

Standardbild
Hans Kaltwasser
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